Stadtteilgeschichte

Stadtteilgeschichte

1. Natürliche Grundlagen

Das Gebiet von Rissen begann sich in der vorletzten Kaltzeit, der Saale-Kaltzeit, auszubilden. Während dieser Zeit entstanden Endmoränen, welche von den Blankeneser Höhen nach Süden in die Harburger Berge und weiter reichten.
In der letzten Kaltzeit, der Weichset-Kaltzeit, war das Rissener Gebiet bereits eisfrei. Erst in dieser Zeit entstand die Elbe durch das Schmelzwasser der abtauenden Gletscher. In diesem Urstromtal der Elbe bildeten sich Flugsande, welche von den vorherrschenden Westwinden auf das Nordufer geweht wurden, wo sie Flugsanddecken und Dünen bildeten. Deshalb haben wir noch heute im Gebiet von Rissen zwischen Elbe und Klövensteen Sandboden.

Der Strand von Wittenbergen im Winter (Foto: Inge Menzel)

Mit dem Zurückweichen des Inlandeises trat eine langsame Erwärmung ein. Es bildete sich zunächst die Pflanzenwelt der Tundra, schließlich ein lockerer Waldbestand. An tiefen Stellen entstanden Moore durch Verlandung aus Seen, so das Schnaakenmoor und das nach seinen Sandüberwehungen benannte Sandmoor, weiter das Tinsdaler Moor, das Lüttmoor und nördlich vom Krankenhaus das Rövkamps-Moor.

Am Elbufer von Wittenbergen spülten die Fluten der Elbe laufend Bodenschichten fort und das Steilufer trat immer mehr zurück. Infolge Anstiegs des Meeresspiegels gelangte das Unterelbetal allmählich in den Gezeitenbereich. In Wittenbergen lagerte sich vor dem Steilhang östlich von der Landungsbrücke bis nach Blankenese hin Marschenschlick ab.

2. Ur- und Frühgeschichte / Erste Besiedelung

Zwischen Altona und Wedel finden sich viele Spuren menschlicher Besiedlung in ur- und frühgeschichtlichen Zeiten. Besonders im Gebiet Rissen gibt es Spuren aus der Stein-, der Bronze- und der Eisenzeit. Die frühesten Fundstücke sind Feuersteingeräte aus der Steinzeit, die am Elbsteilufer östlich von Schulau entdeckt wurden.

In den Rissener Dünen wurden Stationen von Rentierjägern entdeckt und teilweise ausgegraben. Ab etwa 10.000 vor Chr. zelteten und jagten diese Rentierjäger am Rande des damals noch einen See bildenden Schnaakenmoores. Von den Historikern werden diese Jäger als „Rissener Gruppe“ bezeichnet. Bedeutsame Funde verschiedener Feuersteingeräte aus dieser Zeit wurden südlich der Ponywaldschänke gemacht.

Aus der Mittelsteinzeit (8.000 – 3.000 vor Chr.) wurden in Rissen Pfeilspitzen und Harpuneneinsätze gefunden. Ab 2.500 vor. Chr. begannen die Menschen auch nördlich der Elbe, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Sie bauten feste Häuser und töpferten für ihre Vorräte Tongefäße. Die Bäume wurden mit geschliffenen Beilen aus Feuerstein gefällt und bearbeitet. Ein besonderer Fund wurde in Rissen am Luusbarg gemacht: Hier entdeckte man einen Opferfund aus der Bronzezeit (1.700 bis 600 vor Chr.), der aus mehreren bronzenen Gegenständen besteht: vier Armringe, vier Armbänder aus verzierten Blechstreifen, eine Kette mit Bernsteinperlen, vier Nadeln und ein Halsschmuck aus sieben großen Ringen sowie ein Beil und eine Lanzenspitze. Der Fund befindet sich im Archäologischen Landesmuseum in Schleswig.

Die Bestattungssitten erfuhren in diesen Jahrtausenden einen Wandel: nachdem sie zuvor in Grabhügeln bestattet worden waren, wurden die Toten ab dem 13. Jh. vor Chr. verbrannt und die Knochen in Tongefäßen in den Grabhügeln vergraben. Hügel, unter denen solche Grabstellen waren, findet man noch heute in Rissen. Später errichtete man Urnenfriedhöfe; solche wurden z.B. entdeckt an der Brünschentwiete, in den Tinsdaler Dünen und am Sülldorfer Bahnhof.

In der Wittenbergener Heide entdeckte man schließlich noch einen Verhüttungsofen aus der Eisenzeit. Für die nachfolgenden Jahrhunderte bis zur ersten urkundlichen Nennung des Dorfes Rissen im Jahre 1.255 nach Chr. fehlen jedoch ebenso wie für das benachbarte Sülldorf bisher jegliche archäologischen Funde. Eine Siedlungskontinuität aus vor- und frühgeschichtlichen Perioden bis in das Mittelalter hat es in Rissen nicht gegeben.

3. Gründung, Ältere Geschichte Rissens

Der Platz des Dorfes Rissen ist noch heute an den Strassen erkennbar. Es lag entlang der Rissener Dorfstrasse und an einigen von dort abzweigenden Nebenwegen.

Erstmals erwähnt wird der Ort 1255 im Zehntregister des Hamburger Domkapitels unter dem Namen „Risne”. 1537 findet sich die Namensform „Ryssenn”. Der erste Teil „Rys” ist im Sinne von „Strauch / Buschwerk” zu deuten, der zweite Teil „- sen“ ist eine Verkürzung von „husen/hausen“. Es sind also die Häuser im Birkenwald. Die erste Erwähnung sagt nun aber nicht, dass unser Dorf im Jahre 1255 begründet wurde. Diese Nennung ist eher zufällig, das Dorf ist viel älter.

Orte mit der Endung „-husen / -hausen” werden von den Ortsnamen-Forschern in die Zeit vom 7. bis 9. Jahrhundert datiert, und so mag auch Rissen in dieser Zeit entstanden sein. Zum Dorf gehörten im Südwesten einige Hofstellen in Tinsdal. Dieses, ebenfalls 1255 genannt, wird von „tins” = jenseits und „dal” = hinab gedeutet als „Zum Ende des Tales”. Aus den älteren Zeiten ist kaum etwas überliefert. Wir wissen, dass Rissen Jahrhunderte lang zur Herrschaft Pinneberg gehört hat. Es wird die Entwicklung der anderen Orte der Landschaft genommen haben. So wird es wie diese mitunter unter Hungersnöten, Seuchen und Durchzügen von Kriegern gelitten haben, vor allem im 30jährigen Krieg und in den dänisch¬schwedischen Kriegen 1658 und 1713.

4. Ältere ländliche Zustände

Besitzer des Landes waren die Grundherren, meist die Landesherren. Aber auch das Hamburger Domkapitel und das Kloster Harvestehude hatten Besitzungen im Dorf. Die Bewohner hatten – wie allgemein üblich – nur das Nutzungsrecht an ihrem Land, wofür sie ihren Herren Abgaben und Dienste leisten mussten.

Die Scheune vom Bauernhof Brunckhorst in der Wedeler Landstrasse 45, (1972 abgebrochen) (Foto: John Callies, 1960)

Über die früheren landwirtschaftlichen Verhältnisse erfahren wir besonders aus den Verkoppelungsakten von 1790. Namen der damaligen Bewohner wie Ladiges, Nagel, Behrmann, Eckhoff, Fredeland, Ramcke, Timm und andere finden sich auch heute noch.
Charakteristisch waren weite Flächen von Heideland, Flugsand und Moor. Die Heide wurde weitgehend als Schafweide genutzt, Torf diente als Brennmaterial. Auch die zu Ackerland genutzten Flächen waren meist sandig. Allein nach Sülldorf zu gab es bessere Lehmböden. Die Felder waren in zahlreiche schmale Landstreifen aufgeteilt, die von den Hofbesitzern jeweils zu gleicher Zeit mit den gleichen Früchten bebaut wurden. Die Erträge aus Roggen, Hafer und Buchweizen waren gering. Auf ein ausgesätes Korn konnte man mit 3-4 geernteten Körnern rechnen.

Bei Missernten gab es Hungersnöte. Kühe, Schweine und Schafe wurden von den Hirten auf den Gemeinheiten (Allmend) geweidet. Das Vieh war kleinwüchsig und mager, die Fleisch- und Milcherträge gering. Die Wiesen an der Wedeler Au waren versumpft und gaben nur hartes Gras. Gut dagegen war das kräftige Heu der Elbwiesen. Auch die Sülldorfer nutzten diese und fuhren auf dem Sülldorfer Brooksweg, dann Wittenbergener Weg, dorthin. Rissen hatte für ein Dorf zahlreiche Bewohner. 1803 zählte man 264 Einwohner, die jedoch vergleichsweise recht arm waren.

5. Veränderung in der Landwirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert

Wesentliche Veränderungen erfolgten durch die von der Landesherrschaft betriebene Verkoppelung.

Nach den Gesetzen von 1768 und 1771 für Holstein verordnet, wurde diese in Rissen 1780¬-1793 vorgenommen. Durch eine Neuverteilung des Ackerlandes und die Aufteilung der Gemeinen Weide (Allmend) sollte eine rationellere Wirtschaftsführung und eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Bewohner erreicht werden:
Anstelle der zahlreichen schmalen Landstreifen traten nun die neu vermessenen, größeren, durch Knicks voneinander getrennten Koppeln, die der Bauer nach eigenem Gutdünken bewirtschaftete. Ein tüchtiger Landwirt konnte dabei jetzt wesentlich mehr aus dem Boden herausholen als vorher, wo der Langsamste das Tempo angab. Auch wurde die Gemeine Weide, die vorher von den Hirten und ihren Herden beweidet wurde, nun auf die einzelnen Bauern aufgeteilt.

An größeren Teilen von Heide und Flugsandgebieten bestand allerdings kein Interesse. Es war dies vor allem der Fall im Gebiet der Wittenbergener Heide, im Bereich zwischen Wedeler Landstraße und Babenwischenweg und im Nordteil der Gemarkung, den niemand haben wollte. Diesen nahm daher die Landesherrschaft in Besitz und forstete ihn auf. Dazu kamen auch Teile der Nachbargemeinden Sülldorf und Waldenau-Datum. Dieses Gebiet erhielt den Namen Klövensteengehege offenbar, weil hier gefundene Steine gespalten wurden, um sie zu Bauzwecken zu verwenden. Hier wurden vor allem Nadelhölzer angebaut.
Von dem großen Schnaakenmoor wurden Teile der Gemeinde Wedel, Schulau und Spitzerdorf überlassen. Das ehemals zu Rissen gehörende Falkenstein-Gebiet wurde an Blankenese abgetreten.

Da der Mist des eigenen Viehs wenig brachte und noch kein Kunstdünger zur Verfügung stand, fand eine besondere Art von Düngerbeschaffung statt in den so genannten „Dreckfuhren”. In der Nacht fuhr man dazu mit geeigneten Wagen nach Altona, leerte dort die Latrinen und brachte den Inhalt, um Geruchsbelästigungen möglichst zu vermeiden, in der Morgenfrühe nach Hause.
Mit Hilfe dieses zusätzlichen Düngers und daher besserer Heuernten konnten die Milcherträge, die in Altona und Hamburg guten Absatz fanden, wesentlich erhöht werden. Auch verkaufte man aus den Mooren, vor allem aus dem großen Schnaakenmoor, Torf dorthin. Schließlich baute man auf Heideböden auch Eichenkratt an, kleinwüchsige, ausschlagende Eichen, deren Rinde als Lohe zur Lederherstellung nach Altona und Uetersen verkauft wurde. Solcher Eichenkrattbestand ist heute noch auf der Höhe oberhalb des Leuchtturms Wittenbergen zu sehen.
Man baute Kartoffeln, Rüben und Klee an und verwendete gegen Ende des 19. und im 20. Jahrhundert Kunstdünger.

Ein wesentlicher Umbruch begann Mitte des 19. Jahrhunderts. Reiche Kaufleute kauften in der Gemarkung Rissen in großem Umfang Gelände auf ( in Einzelheiten noch unter Ziffer 7 beschrieben ). Sie erwarben von der Landesherrschaft nicht nur die den Bauern unerwünschten Heide- und Flugsandgebiete, sie kauften den Dorfbewohnern auch Ländereien und ganze Hofstellen ab. Diese Veränderung brachten einige Instabilität in das Dorf.

Hierdurch sowie durch das Anwachsen der Bewohner und immer neue Ansiedlungen ging die Zahl der Höfe immer mehr zurück. Waren es 1950 noch zwölf, so existierten 1979 nur noch vier Betriebe. Wenn man von den Reiterhöfen absieht, gibt heute nur noch einen landwirtschaftlichen Betrieb, den von Ladiges / Jaacks, der aus dem früheren Dorf ausgesiedelt ist, sich weit im Norden am Babenwischenweg niedergelassen hat und dort Milchwirtschaft betreibt.

6. Obrigkeit, Kirche, Schule

Rissen gehörte zur Herrschaft Pinneberg. Landesherren waren bis zu ihrem Aussterben 1640 die Schauenburger Grafen, die ihren Stammsitz an der Weser hatten. Danach fiel Herrschaft an die dänischen Könige bis zur Besitzergreifung durch Preußen als Folge des Sieges von 1864. Im Auftrag des Landesherrn übte der Landdrost die Leitung der Verwaltung aus. Sein Sitz war die Drostei zu Pinneberg, deren aufwändiges Gebäude aus dem 18. Jahrhundert heute noch vorhanden ist. Unterteilt war diese in Kirchspielvogteien. Rissen gehörte zur Vogtei in Nienstedten, später Blankenese. In der preußischen Zeit trat an seine Stelle der Landrat des Kreises Pinneberg.

Die Johanneskirche (erbaut 1936) (Foto: Irene Garms)

Eine große Rolle im Leben der Bewohner spielte die Kirche. Rissen gehörte zu der sieben Kilometer und damit etwa zwei Stunden Fußweg entfernten Kirche von Nienstedten, ein reizvoller Bau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts vom Charakter einer Dorfkirche, die heute noch gern zu Trauungen herangezogen wird. Sonntags nahm man von seinen festen Kirchenplätzen aus am Gottesdienst teil. Hier fand auch der Konfirmandenunterricht statt. Auf dem Kirchhof in Nienstedten wurden ab 1814 die Verstorbenen begraben. In den Kirchenbüchern wurden Taufe, Heirat und Begräbnis verzeichnet bis diese Aufgabe auf Veranlassung Bismarcks von den Standesämtern übernommen wurde. Als 1896 die Kirchengemeinde Blankenese gegründet wurde, kam Rissen zu dieser. Man benutzte seither auch den in Sülldorf gelegenen gemeinsamen Friedhof mit. Nach einem Jahrzehnt mit Übergangslösungen wurde 1936 in Rissen die evangelisch-lutherische Johanneskirche an der alten Dorfstraße errichtet mit dem äußeren Aussehen einer Dorfkirche. 1956 kam das Gemeindehaus dazu und schließlich wurde der Kindergarten errichtet.

Heute hat die Kirchengemeinde zwei Pastoren, eine Pastorin und eine Reihe weiterer Mitarbeiter. Mit ihren Kirchenkonzerten, Vorträgen und weiteren Veranstaltungen trägt die Kirche zum Kulturprogramm des Stadtteils bei. Nicht weniger wichtig sind ihre sozialen Aufgaben. Kindergarten, Kinder- und Jugendgruppen bieten ein breites Angebot. Es gibt die Diakoniestation, die kranke und pflegebedürftige Menschen zu Hause versorgt und den Besuchsdienstkreis, der sich um einsame und alte Menschen kümmert. Engagiert ist auch die Eine -Welt –Gruppe, die einen Laden am Durchgang zum Vosshagen betreibt und den Weihnachtsmarkt organisiert .Als dies und vieles mehr ist dem ehrenamtlichen Engagement zahlreicher Gemeindemitglieder zu verdanken.

Wann in Rissen eine Schule begründet wurde, ließ sich nicht ermitteln.

Die alte Steinschule (erbaut 1875) (Foto: Jürgen Zimmern 1988)

1711 ist ein solche nachgewiesen. Jürgen Beuche beschrieb aufgrund alter Schuldokumente die Geschichte der Rissener Schule von 1820 bis 1914. Die Schulkinder besuchten ihre Schule vom siebten Lebensjahr bis zur Konfirmation. Religion spielte in der früheren Zeit die Hauptrolle, dazu kam einiges Lesen, Schreiben und Rechnen. Im Sommer waren viele Kinder vom Unterricht befreit, weil sie im Haus, auf Feld und Weide mithelfen mussten. Die Lehrer hatten bis ins frühe 19. Jahrhundert noch kaum eine Ausbildung, übten vielmehr daneben häufig ein Handwerk aus. Sie hatten sehr geringe Einkünfte und waren entsprechend gering angesehen. Ihr Vorgesetzter war der Pastor von Nienstedten. Im 19. Jahrhundert, insbesondere in der preußischen Zeit, besserten sich die Verhältnisse. Die Lehrer bekamen eine Seminarausbildung und wurden allmählich besser bezahlt.

1875 wurde die „Steinschule“ erbaut, die 1908 aufgestockt wurde, heute Kindertagesstätte und Unterkunft des Rissener Bürgervereins. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Bevölkerung stark anwuchs, wurden stattdessen nach Provisorien 1952 die Schule am Iserbarg, 1965 die am Marschweg und 1971 das Gymnasium am Vosshagen in Benutzung genommen.

7. Strukturwandel durch Erwerbungen reicher Kaufleute

Johan Cesar Godeffroy VI. (1813-1885)
Eine wesentliche Veränderung der Entwicklung Rissens begann Mitte des 19. Jahrhunderts durch den Verkauf großer Teile der Gemarkung Rissen an reiche Kaufleute. Das dauernde Klagen der Bauern über die Sandverwehungen führte dazu, dass der Drost zu Pinneberg diese Flächen an den Hamburger Kaufmann und Reeder Johann C. IV. Godeffroy verkaufte und ihn verpflichtete, sie aufzuforsten. Es handelte sich vor allem um Gebiete zwischen Wedeler Landstraße und Babenwischenweg. Zusätzlich kaufte der Reeder auch Ländereien von sieben Besitzern im Dorf auf. Ein Förster wurde von ihm beauftragt und die Aufforstung, überwiegend mit Nadelholz, ging zügig voran. Auch wurden Moorlöcher in die reizvollen Fischteiche an der Rüdiger Au umgestaltet. Im Ganzen handelte es sich um mehr als 115 Hektar. Viele Rissener fanden dabei gut bezahlte Arbeit. Godeffroys Enkel Johann Cesar Vl. (1813-1885) kaufte weiter Ländereien zwischen Nienstedten und Holm (ca. 825 Hektar) und ließ sie aufforsten. Dazu gehörte auch der zu Blankenese gehörende Falkenstein, der nach dem Falken im Familienwappen benannt wurde.

Nachdem Godeffroy 1879 den Zusammenbruch seiner Firma erleben musste, verkaufte er seine Besitzungen. Einen großen Teil davon erwarb 1887 der Kaffeegroßkaufmann Georg Friedrich Stucken mit seinem Teilhaber Andresen. Dieser setzte die Aufforstungen fort. Zwischen Sülldorfer und Rissener Landstraße ließ er Kiesgruben anlegen. Kies war in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg, als in Hamburg viel gebaut wurde, sehr gefragt. Zum Abtransport wurden Gleise zum Anschluss an die Bahnstrecke Blankenese-Wedel gelegt, ferner eine Feldbahn durch das Gelände des späteren Golfplatzes zum Platz vor dem heutigen Puppenmuseum mit einer anschließenden Drahtseilbahn bis zur Verladestelle an der Elbe. Von seinem Besitz am Falkenstein verkaufte Stucken Gelände zur Anlage von Villen. Da während des ersten Weltkrieges und danach das Kaffee- und Kiesgeschäft zum Erliegen kamen, ging auch diese Firma allmählich unter. Kies wurde nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch in geringem Umfang abgebaut. Heute sind in dem Gelände Spazierwege und ein großer Kinderspielplatz angelegt.

Eine weitere Kaufmanns- und Bankiersfamilie erwarb in Rissen größere Besitzungen, in welchen sie ihre Sommerhäuser errichten ließ, es sind die Münchmeyers. Hermann Münchmeyer kaufte 1906 das östlich des Wittenbergener Weges gelegene Gebiet des Luusbarg und sein Bruder Albert das gegenüber, westlich des Wittenbergener Weges befindliche Gelände. Das letztere wurde während des Zweiten Weltkriegs an die Stadt Hamburg verkauft, welche hier die Freiluftschule Wittenbergen errichtete.

8. Entwicklung zum Großstadtvorort

Der große Fischteich bei der Rüdigerau (Foto: Inge Menzel)

Ein früher Schritt auf diesem Wege war der Bau der Eisenbahnstrecke von Blankenese nach Wedel 1883 im Anschluss an die schon 1867 angelegte Bahnlinie von Altona nach Blankenese. Rissen bekam seinen Bahnhof. Allerdings verkehrten in den frühen Jahren täglich nur je vier Züge in beiden Richtungen. Dazu kamen vor der Jahrhundertwende mit der Anlegebrücke von Wittenbergen auch regelmäßig von Hamburg nach Wedel verkehrende Dampfer. Diese Verkehrsmittel waren nicht nur von Bedeutung für das Berufsleben, sondern auch für Ausflügler. Diese suchten gern das Elbufer von Wittenbergen auf, die Heide zur Zeit ihrer Blüte, die Fischteiche und das Klövensteengehege. Es entstanden somit eine Anzahl von Ausflugslokalen, wie z.B. das „Rissener Landhaus“ (Wedeler Landstr. 55), das Garten¬ Etablissement „Heidehaus” (Wedeler Landstr. 31) und der „Rissener Hof” (Am Rissener Bahnhof 23).
Der große Fischteich bei der Rüdigerau
Eine weitere Erschließung bewirkte die 1927 erfolgte Angliederung an die Stadt Altona. Dort erhoffte man sich in den Elbvororten Spielraum für die räumlich beengte Stadt. Stark engagiert war dabei Max Brauer (1887-1973), Oberbürgermeister von Altona und ab1946 Erster Bürgermeister von Hamburg.

Im Rahmen der Wochenendbewegung wurden Grundstücke für die Erstellung von Wochenendlauben verkauft. Diese wurden nach den Bombenangriffen auf Hamburg im Zweiten Weltkrieg ständig bezogen und an ihrer Stelle danach feste Wohnhäuser gebaut. In dem Viertel nördlich der Bahnlinie befinden sich aber auch eine Anzahl aufwendiger Villen. 1937 wurde Rissen dann als Teil Altonas durch das Groß-Hamburg Gesetz an Hamburg angeschlossen, wodurch die Entwicklung zum Großstadtvorort noch weiter gefördert wurde. Schon 1936 war die Johannes-Kirche gebaut worden. 1937 errichtete man die Luftwaffenkaserne, welche 1946 in das Krankenhaus Rissen umgewandelt wurde.

Im Zweiten Weltkrieg wurde in Rissen am 3. März 1943 eine Anzahl von Häusern durch Bomben zerstört, die eigentlich Wedel bzw. Hamburg gegolten hatten. Im Waldgebiet hinter dem Leuchtturm Wittenbergen kann man noch Bombentrichter bemerken. Glücklicherweise wurde dabei nur ein Mensch getötet. Nach dem Krieg entstanden immer mehr neue Wohnviertel, wo sich vorher Felder und Wiesen befunden hatten. Im Bereich des früheren Dorfes wurden Geschäfte, Gewerbebetriebe und Banken errichtet.

Die Elektrifizierung der nach wie vor eingleisigen Bahnstrecke 1954 und die Zunahme des Autoverkehrs förderten diese Entwicklung. Es entstanden bis zu neunstöckige Wohnhäuser. Die Geschäfte konzentrierten sich immer mehr in der Wedeler Landstraße und Nebenstraßen. Bemerkenswert ist der schnelle Wechsel. Rissen macht heute einen etwas uneinheitlichen Eindruck. Die Strohdachhäuser sind weitgehend verschwunden. Zur Verkehrsentlastung wurde 1985 in ein vertiefter Lage die sehr verbreiterte B 431 – der „Rissener Canyon“ – gebaut, daneben die neu verlegte Bahnlinie mit einer neuen Haltestelle. Dennoch hat Rissen sich seinen alten Charme zumindest teilweise bewahrt und ist als Wohn- und Naherholungsgebiet sowohl bei jungen Familien wie auch bei älteren Menschen sehr beliebt.

9. Besondere Einrichtungen

Eine wichtige Institution unseres Stadtteils ist das „Haus Rissen“, Internationales Institut für Politik und Wirtschaft (Rissener Landstr. 193), getragen von der Gesellschaft für Politik und Wirtschaft e.V. Hamburg und 1954 von Gerhard Merzyn gegründet. Es bietet Raum für nationale Konferenzen, Seminare, Kolloquien und Workshops und ist bemüht um die Förderung der Marktwirtschaft und Demokratie.

Die Bundesanstalt für Wasserbau, Außenstelle Küste, wurde 1958 von Wedel nach Rissen (Wedeler Landstr. 157) verlegt. Hier wurde ein naturgetreues Modell von der Elbe zwischen Bleckede und Scharhörn angelegt, ferner solche von der Weser-, Ems-, Eidermündung und weitere. An ihnen konnten Messungen von Wasserständen, Stromgeschwindigkeiten u.a.m. vorgenommen werden.

Das Rissener Krankenhaus (Suurheid 20) ist aus der Luftwaffenkaserne hervorgegangen. Nach dem Kriege diente sie als Militärhospital der britischen Besatzungsmacht. 1946 wurde hier ein allgemeines städtisches Krankenhaus mit einer Kapazität von 350 Betten eingerichtet. Inzwischen ist es privatisiert und firmiert unter dem Namen Asklepios-Westklinikum Hamburg. Bekannt ist die Klinik für ihre Palliativstation zur Betreuung Schwerkranker Menschen in der letzten Phase ihres Lebens. Seit April 2005 verfügt die Klinik mit einem neu errichteten zentralen Funktionsbau über eine Einrichtung, die medizinisch und organisatorisch Maßstäbe setzt.

Seit Frühjahr 2003 wird durch den Förderverein Kinderhospiz „Sternenbrücke” e.V. in Rissen am Sandmoorweg ein Kinderhospiz mit zwölf Plätzen geführt. Dieses bietet für Eltern und Geschwister der schwerstkranken Kinder die Möglichkeit einer Kurzzeitpflege ebenso wie die Betreuung und Begleitung in der Sterbephase.

Rissener Leuchtturm – Schönste Aussicht in Wittenbergen (Foto: Ursula Lenecke)

Der Hamburger Golfclub pachtete 1928 das weiträumige Gelände des Golfplatzes Falkenstein. Die englische Firma Frank Harries legte hier mit dem 18-Loch-Platz ein Meisterwerk der Golfarchitektur an, das Clubhaus errichteten die Architekten Schramm und Elingius. Eröffnet 1930, wurde der Golfclub Falkenstein Anfang 1999 von der „Golf Sport Top Ten“ als zweitbester Golfplatz Deutschlands ausgewählt. Hier werden häufig nationale und internationale Meisterschaften ausgetragen.

Eine der vier Hamburger Freiluftschulen ist die Freiluftschule Wittenbergen (Wittenbergener Weg 110), die in einem weiträumigen, bewaldeten Gelände eingerichtet wurde. Diese nimmt an Wochentagen tagsüber oder zur Übernachtung Grundschulklassen auf und in den Schulferien Hamburger Schulkinder, vor allem von sozial schwachen Eltern.

10. Landschaft- und Naturschutz

Seit mehr als hundert Jahren werden die Schönheiten der Rissener Landschaften erkannt und diese daher gern aufgesucht. Als Rissen 1927 nach Altona eingemeindet wurde, sah man darauf, dass die Gemarkung nicht völlig zersiedelt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte man sich sehr um den Schutz erhaltenswerter Gebiete.

Feldweg im Herbst (Foto: Jürgen Zimmern 1999)

So steht die Rissener Gemarkung außerhalb des dichter besiedelten Bereichs unter Landschaftsschutz. Unter Naturschutz gestellt mit seinen strengeren Anforderungen wurden 1979 das Schnaakenmoor, 1986 die Wittenbergener Heide und die Elbwiesen. Die Bemühungen gehen heute teilweise über die Erhaltung des Naturzustandes hinaus, indem man Teile der Landschaft wieder in den früheren Naturzustand zurückzuversetzen sucht. Die Erhaltung der Heide wurde einst durch Heidschnucken und Plaggenhieb bewirkt, heute bemühen sich die Naturschützer darum. Im Schnaakenmoor wurden Teile der Wiesen wieder zugunsten des Moores umgestaltet

Gern aufgesucht zu Wanderungen wird auch das Klövensteengehege. 1972 wurden, vor allem durch die Bemühungen von Andreas Hansen, östlich vom Sandmoorweg und nördlich der Fischteiche das Wildgehege von 25 Hektar angelegt. Hier können Interessierte innerhalb von Schutzgittern die heimischen Tiere des Waldes beobachten.

Für das leibliche Wohl sorgt die weit über die Grenzen bekannte Waldgaststätte „Ponywaldschänke” mit einem angeschlossenen Ponyreithof für Kinder.

11. Wittenbergen

Zweifellos zählt Wittenbergen zu den schönsten Landschaften Hamburgs. Die hier etwa 25 m hohe Geest tritt unmittelbar an die Elbe heran, welche unterhalb Wedels auf den letzten achtzig Kilometern ihres Laufs nur noch von Marschen begleitet wird. Da der Strom seit jeher an seinen Ufern nagte und der weiße Sand von den Hängen ständig abrutschte, erschienen diese als „Witte Berge”.

Das Fährhaus „Wittenbergen“ (1976 abgerissen) (Foto: John Callies, 1961)

Einzelne Häuser hat es dort schon früher gegeben. 1703 kaufte der irische Graf Clancartie ein solches, um von hier aus dunkle Geschäfte mit Strandraub zu betreiben. Im 19. Jahrhundert wurde dort eine Bootswerft betrieben. Schließlich kamen auch immer mehr Menschen hierher, um die reizvolle Landschaft zu genießen. Schon vor dem Ersten Weltkrieg kamen sie mit den an der Landungsbrücke anlegenden Schiffen, rasteten am Ufer und badeten hier, solange die Wasserqualität der Elbe es erlaubte. Vor dem Kurhaus gab es Badekabinen und Strandkörbe, einen Musikpavillon, Karussells, Schießbuden usw. Gaststätten wie die von Heuer und das Fährhaus Wittenbergen boten sich den Besuchern an, die als Folge der Sturmfluten von 1962 und 1976 dann weichen mussten.

Der Weg am Ufer und Spazierwege am und auf dem Hang mit ihren Bänken werden gern und viel angenommen. So ist der westlich vom Leuchtturm angelegte, nach dem früheren Leiter des Altonaer Gartenbauamtes Otto Schokoll, benannte Höhenweg besonders beliebt. Gewissermaßen das Symbol Wittenbergens ist sein Leuchtturm. Er zeigt zusammen mit dem oberen Leuchtturm von Tinsdal seit ihrer Inbetriebnahme am 1. Januar 1900 den von Hamburg kommenden Schiffen den Weg. Vom Höhenweg am oberen Leuchtturm hat man einen weiten Blick auf die zwei Kilometer breite Elbe, auf die durch Rufspülung von Baggersand entstandene acht Kilometer lange Insel, auf die Marschgebiete des Alten Lands bis zu den Schwarzen Bergen und der Stader Geest.

Ein bemerkenswerter Fund wurde 1976 von einem Bagger bei der grünen Fahrwassertonne Nr. 127 querab vom Leuchtturm Wittenbergen gemacht. Man fand Teile eines Wracks und seiner Ladung, bestehend aus Kupfer- und Zinnbarren, Kanonen, Musketen u. a. m. Es muss sich um ein im Krieg zwischen den Niederländern und Spaniern versenktes (ca. 1600) spanisches oder in spanischen Diensten fahrendes Schiff handeln.

12. Schlussbetrachtung

Wie steht Rissen im Vergleich zu seinen Nachbarorten Blankenese und Wedel da? Blankenese hatte seine Fähre, im 18. und 19. Jahrhundert bedeutenden Fischfang und schließlich eine beachtliche Handelsflotte. Reiche Kaufleute hatten hier und in Dockenhuden ihre von Parks umgebenen Sommerhäuser anlegen lassen. Auch Wedel hatte seine Fähren, welche in der Zeit der Ochsentriften und -märkte eine große Rolle spielten. Hier entstanden im 19. und besonders im 20. Jahrhundert bedeutende Industriewerke.

Rissen war dagegen ein armes Dorf. Erst im 20. Jahrhundert holte es auf und entwickelte sich zum Großstadtvorort. Auch in Rissen spielten einige reiche Kaufleute eine gewisse Rolle. Vor allem aber zog es Menschen an, welche die Nähe der Natur suchten. Es ist zu einem sehr beliebten Stadtteil geworden und man kann nur hoffen, dass die enge Verbindung zur Natur erhalten bleibt.